Gottesdienste: Livestream und Aufzeichnung
Nicht jeder kann an Gottesdiensten vor Ort teilnehmen. Aus diesem Grund hat man bereits früh begonnen, Technik für die Übertragung von Gottesdiensten zu nutzen. Seit den 1950er-Jahren überträgt die ARD Gottesdienste im Fernsehen und ermöglicht so auch nicht anwesenden Gläubigen die Teilnahme.
Die Teilnahme an einem Gottesdienst ist jedoch eine sehr persönliche Angelegenheit, und es gibt viele Gründe, warum Teilnehmende nicht aufgezeichnet werden möchten:
- Einige Gläubige betrachten ihren Glauben als intime Angelegenheit und empfinden eine öffentliche Sichtbarkeit als unangemessen – etwa, wenn sie während des Gottesdienstes weinen oder beten.
- Andere sind möglicherweise konvertiert und möchten nicht, dass Freunde oder Familienangehörige von ihrer Teilnahme erfahren.
- Teilnehmende könnten befürchten, dass Aufzeichnungen durch Gesichtserkennungssysteme und künstliche Intelligenz analysiert und personenbezogen zugeordnet werden.
- Negative Online-Erfahrungen, wie etwa Anfeindungen, können ebenfalls dazu führen, dass Gläubige ihre Teilnahme nicht öffentlich machen möchten.
- usw.
Welche Gründe ein Teilnehmer auch haben mag – sie sind stets persönlicher Natur und fallen unter das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht. Demgegenüber steht jedoch der Wunsch, an einem Gottesdienst teilzunehmen – auch wenn man nicht vor Ort sein kann oder möchte. Auch dieses Recht ist durch das Grundgesetz geschützt: die Religionsfreiheit.
Um Gottesdienste online bereitstellen zu können, hat die EKD im Datenschutzgesetz eine Sonderregelung geschaffen:
§ 53 – Gottesdienste und kirchliche Veranstaltungen
Die Aufzeichnung oder Übertragung von Gottesdiensten oder kirchlichen Veranstaltungen einschließlich ihrer Veröffentlichung ist datenschutzrechtlich zulässig, wenn die betroffenen Personen vor der Teilnahme durch geeignete Maßnahmen über Art und Umfang der Verarbeitung informiert werden.
Aufgrund dieser Sonderregelung könnte man annehmen, dass mit der vorherigen Information die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Aufzeichnung und Veröffentlichung von Gottesdiensten ausreichen.
In der Literatur wird hierzu vertreten, dass man von einem (sog. konkludenten) Einverständnis ausgehen könnte, wenn die Teilnehmer des Gottesdienstes beim Betreten der Kirche informiert werden und die Bereiche der Kirche, die aufgezeichnet werden, markiert sind. Auf diese Weise hätten die Besucher die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie mit der Aufzeichnung und Veröffentlichung einverstanden sind (Triebel, in: Wagner (Hrsg.), Kommentar zum EKD-Datenschutzgesetz, § 53 Rn. 2).
Der Beauftragte für den Datenschutz der EKD (im Folgenden: BfD EKD), also die Datenschutzaufsicht der EKD, vertritt eine restriktivere Auffassung. Nach Ansicht des BfD EKD ist der Hinweis über die Videoaufzeichnung und Veröffentlichung nicht hinreichend, um eine Einwilligung der Besucher anzunehmen. Das bedeutet, dass die Videoaufzeichnung so einzurichten wäre, dass Gottesdienstbesucher nicht erfasst werden – es sei denn, diese haben vorab eine ausdrückliche Einwilligung abgegeben. Diese Ansicht hat der BfD EKD in seinem Tätigkeitsbericht 2021/2022, S. 40 publiziert. Eine Rückfrage beim Regionalverantwortlichen ergab, dass diese restriktive Sichtweise nach wie vor vertreten wird.
Aus meiner Sicht sprechen bessere Gründe für die Literaturmeinung. Da der kirchliche Gesetzgeber aber ausdrücklich die Zulässigkeit der Aufzeichnung und Veröffentlichung annimmt, sofern die Teilnehmer hinreichend informiert werden, lässt sich nicht erkennen, warum zusätzlich eine Einwilligung notwendig sein sollte. Wenn für die Übertragung von Gottesdiensten, bei denen die Teilnehmer erfasst werden, stets eine ausdrückliche Einwilligung notwendig ist, wäre festzustellen, dass § 53 DSG-EKD im Wesentlichen nichts regelt. Hinzukommt, dass der weltliche Gesetzgeber mit § 23 Abs. 1 KUG die Veröffentlichung von Personen, die nur als Beiwerk an einem Ort erscheinen (Nr. 2) oder an einer öffentlichen Versammlung teilnehmen (Nr. 3), von der Erforderlichkeit einer Einwilligung ausgenommen hat. Werden Parteitage, Freisprechungsfeiern im Handwerk, akademische Feierlichkeiten, Sportereignisse oder öffentliche Prozessionen aufgezeichnet und veröffentlicht, wäre dies aufgrund der Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 KUG ohne Einwilligung erlaubt – die Aufzeichnung und Veröffentlichung eines öffentlichen Gottesdienstes aber nicht. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass der kirchliche Gesetzgeber eine derart restriktive Sichtweise im Sinn hatte – andernfalls hätte er auf die Regelung des § 53 DSG-EKD verzichten können. Aus meiner Sicht wäre § 53 DSG-EKD wie die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 KUG zu betrachten. Die von Herrn Dr. Triebel vorgeschlagene Trennung der Bereiche in aufgezeichnete und nicht aufgezeichnete Bereiche erscheint als sinnvoller Kompromiss, um die Persönlichkeitsrechte der Teilnehmer hinreichend zu schützen.
Zur Vermeidung rechtlicher Auseinandersetzungen empfehle ich Ihnen, den Empfehlungen des BfD EKD zu entsprechen: Die Kameras sollten so ausgerichtet werden, dass die Gottesdienstbesucher nicht erfasst werden – sofern diese nicht vorab eine entsprechende Einwilligung erteilt haben.
Im Weiteren sollten Sie die folgenden Maßnahmen und Empfehlungen umsetzen:
1. Information der Teilnehmer
Eine Information aller Betroffenen ist gesetzlich vorgeschrieben. Hierbei sollte aber eine verkürzte „Datenschutzinformation“ ausreichend sein. Die Datenschutzinformation sollte u.A. die folgenden Angaben enthalten:
a) Kontaktdaten der verantwortlichen Stelle
b) Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten
c) Informationen über die Veröffentlichung (welches Portal, etc.)
d) Dauer der Aufbewahrung der Aufzeichnung
e) Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung
f) Rechte der betroffenen Personen
g) Zuständige Aufsichtsbehörde für Beschwerden
Eine anpassbare Vorlage finden Sie unter folgendem Link: wird nachgereicht – das Dokument ist derzeit noch in Bearbeitung
2. Welche Personen müssen einwilligen?
a) Leitend Mitwirkende (Pastor:in, Lektor:in, Liturg:in)
Die Mitwirkung dieser Personen ist zur Durchführung des Gottesdienstes notwendig. Die Datenverarbeitung erfolgt in Erfüllung einer kirchlichen Aufgabe und eine Einwilligung ist nicht erforderlich.
b) Weitere Mitwirkende (z. B. Chormitglieder, Konfirmand:innen)
Diese mitwirkenden Personen sind besonders exponiert, erfüllen aber weder eine kirchliche Aufgabe noch sind sie für den Gottesdienst verantwortlich. Ihre Einwilligung ist vorab einzuholen (Triebel, ebd., Rn. 10).
Hinweis: Minderjährige ab 14 Jahren sind religionsmündig und können selbst einwilligen. Jüngere benötigen die Zustimmung der Eltern.
Musterformular: Einwilligungserklärung
c) Besucher des Gottesdienstes
Gottesdienstbesucher dürfen nach Ansicht des BfD EKD (siehe oben) nicht von der Aufzeichnung erfasst werden – es sei denn, eine ausdrückliche Einwilligungserklärung liegt vor.
3. Wie ist mit einer Verweigerung der Einwilligung umzugehen?
Verweigern mitwirkende Personen, wie z. B. Chormitglieder oder Konfirmand:innen, ihre Einwilligung, dürfen sie nicht aufgezeichnet werden. Lässt sich bei der Aufzeichnung nicht verhindern, dass diese Personen miterfasst werden, sind sie in den Aufzeichnungen im Nachgang unkenntlich zu machen oder herauszuschneiden. Die originalen, ungekürzten Aufzeichnungen sind zu vernichten.
Das bezieht sich auch auf alle Situationen, in denen Gottesdienstbesucher nach vorne treten, wie z.B. zum Empfang von Brot und Wein. Liegt eine ausdrückliche Einwilligung nicht vor, sind zumindest im Nachhinein die Aufzeichnungen zu entfernen oder Unkenntlich zu machen.
Wir der Gottesdienst mit einem Livestream übertragen, ist die Übertragung zu unterbrechen.
4. Wie ist mit dem Widerruf einer Einwilligung umzugehen?
Der Widerruf der Einwilligung ist gleichermaßen umzusetzen. Widerruft eine Person im Nachhinein ihre Einwilligung, ist die Person aus den Aufzeichnungen herauszuschneiden oder unkenntlich zu machen.
5. Wie ist die Einwilligung zu erklären und worauf muss sich die Einwilligung beziehen
Die Einwilligung ist ausdrücklich, z. B. in schriftlicher Form, zu erklären und muss sich sowohl auf die Aufzeichnung als auch auf die Veröffentlichung beziehen.
6. Müssen Teilnehmende die Aufzeichnung dulden?
Nein. Eine erzwungene Aufzeichnung würde das Persönlichkeitsrecht der Teilnehmenden verletzen.
7. Wie lange dürfen Aufzeichnungen vorgehalten werden?
Wie lange die Aufzeichnung gespeichert werden darf, ist gesetzlich nicht geregelt. In der juristischen Literatur wird vertreten, dass Aufzeichnungen von Sonntagsgottesdiensten spätestens am darauffolgenden Sonntag wieder entfernt werden sollten (Triebel, in: Wagner (Hrsg.), Kommentar zum EKD-Datenschutzgesetz, § 53, Rn. 8). Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Auch wenn am nächsten Sonntag erneut ein Gottesdienst verfügbar gemacht wird, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass dieser auch online gestellt wird. Zudem kann die Kirchengemeinde das Interesse verfolgen, das Wirken und Leben der eigenen Gemeinde über einen längeren Zeitraum für Mitglieder und andere Interessierte zu dokumentieren.
Wird auf die längere Vorhaltezeit hingewiesen, kann die Einwilligung auch entsprechend erteilt werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich jedoch, im Informationsschreiben einen konkreten Zeitraum anzugeben und diesen nicht zu großzügig zu bemessen – denkbar wäre beispielsweise eine Vorhaltezeit von zwei Jahren.
Fehlen die rechtlichen Voraussetzungen (z. B. eine rechtsgültige Einwilligung), dürfen die Aufzeichnungen weder vorgehalten noch veröffentlicht werden. Wurde nicht hinreichend über die Datenverarbeitung informiert (wie z. B. wo und wie die Aufzeichnungen veröffentlicht werden/wurden), sind die Videos ebenfalls zu löschen.
8. Über welche Plattformen können die Aufzeichnungen veröffentlicht werden?
Zur Veröffentlichung können die gängigen Plattformen herangezogen werden (YouTube, Vimeo, Facebook, Instagram).
Befinden sich die Plattformen in einem Land, in dem das Datenschutzniveau nicht hinreichend ist, und fehlt es an Maßnahmen zur Herstellung des Datenschutzniveaus, ist eine Veröffentlichung auf diesen Plattformen datenschutzwidrig und nicht erlaubt. TikTok wird von ByteDance Ltd. aus China betrieben. Das Datenschutzniveau wird gegenüber den Regelungen der EU-Staaten als niedriger eingestuft, und eine Datenübermittlung an TikTok (ByteDance) wäre nicht erlaubt.
9. Weitere Informationen
Tätigkeitsbericht 2021/2022, S. 40
Informationen zur Nutzung fremder Werke (z.B. Musik)